Es eilt: Controlling und die (Nicht-)Digitalisierung

Letztens stieß ich bei FAZ.net auf einen interessanten Artikel von den Direktoren des Instituts für Management und Controlling der WHU – Otto Beisheim School of Managment, Utz Schäffer und Jürgen Weber. Titel: „Der Controller verliert die Kontrolle“; Tenor: Wie eine Umfrage ergebe, sei der Mangel an Digitalverständnis unter denjenigen, die börsennotierte Unternehmen quantifizieren, betreuen und mitsteuern sollen, regelrecht erschreckend. Die Controller selber stellen sich das niederschmetternde Zeugnis aus: Laut den Autoren gaben nur 26% der Befragten an, die auf ihre Umfrage reagierten, dass sie die bislang getätigten Investitionen in die Digitalisierung des Controllings in deren jeweiligen Unternehmen für ausreichend hielten.

Was als „Schock-Ergebnis“ daherkommen sollte, überraschte mich ehrlich gesagt nicht. Denn auf die Notwendigkeit eines Controllings, das den Realitäten des digitalen Zeitalters gerecht wird, habe ich schon das eine oder andere Mal hier hingewiesen und dabei wichtige Fragestellungen diskutiert: Wie bewertet man eigentlich E-Commerce-Geschäftsmodelle? Wie führt man eine angemessene Due-Diligence im digitalen Umfeld durch? Etwas breiter gefasst habe ich auch mal über die Rolle des Controllings insgesamt im Konzern- sowie Investorenumfeld  berichtet und welchen Platz Beratungsunternehmen hier einnehmen können. Aber es geht hier nicht um „Hab‘ ich doch gesagt!“ und „Hatte ich doch recht!“ Ich will eben aufrichtig hoffen, dass ein aufsehenerregender Artikel auf einem so reichweitestarken Portal wie FAZ.net seinen Teil dazu beiträgt, dass das Thema breiter in der Wirtschaft verankert und auch endlich angegangen wird.

Ich stehe mit meinem Gefühl, dass es mit der Digitalisierung im Controlling noch deutlich zu langsam vorangeht, keineswegs alleine da. Der Kollege Alex „Kassenzone“ Graf etwa hat schon mit mehreren profilierten Gesprächspartnern über den Stillstand gesprochen. Im Gespräch mit Iskender Dirik von Microsoft for Start-ups letztes Jahr zum Thema Corporate Venture Capital etwa merkte Letzterer an:

„Ein alteingesessener M&A-ler, der auf EBIT-Basis einkauft und das Venture-Geschäft nicht versteht, kann hier wenig beitragen. Für den Corporate-VC bringt das nichts – und schlimmstenfalls sitzt er auch noch im Investment-Committee und macht einem ein Strich durch die Rechnung: „Häh? Verstehe ich nicht. Hier sind überall rote Zahlen drunter!“ Da sagt der VC-Mensch: „Rote Zahlen sind doch mein Geschäft!““

Oder, wie es vor ihm Florian Heinemann – ebenfalls im Gespräch mit Alex – formulierte:

„Die Beurteilung eines digitalen Geschäftsmodells in der frühen Phase erfordert ein ganz anderes Controlling: Traditionelle Ansätze passen schlecht auf digitale Start-ups. Die Otto-Group controllt schließlich ein AboutYou anders als so ein BonPrix – zu Recht! Aber das will erstmal gelernt werden.“

Dennoch wird vielerorts im Controlling genauso weitergemacht, wie es schon immer gemacht worden ist. Das Schaurig-Faszinierende an dem FAZ-Artikel ist dabei, dass erstens vielen Controllern in der Deutschland AG völlig klar ist, wo die Versäumnisse liegen. Sie laufen also sehenden Auges mit Milliardenschweren Unternehmen ins Minenfeld. Und zweitens ist der Mangel an Digitalwissen im Controlling nicht nur bei Übernahmen oder Investitionen gefährlich, weil hier falsch gekauft, beziehungsweise aus Missverständnis nicht gekauft wird, sondern er bremst auch eine vernünftige Aufsicht der Vorgänge innerhalb eines bestehenden Unternehmens nach Stand der Technik aus. Dies wird vor allem in Bezug auf Big-Data klar, zu dem die FAZ-Autoren aus ihren Ergebnissen vermerkten:

„Die befragten Controller sind denn auch ganz überwiegend der Meinung, dass insbesondere im Bereich von Data Science und IT Kenntnissen, aber auch bei eher weichen Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeiten und Change Management Nachholbedarf besteht. Gleichzeitig registrieren wir vielfach eine gewisse Hilflosigkeit bei der Frage, wie die identifizierte Lücke geschlossen werden soll.“

Zu meinen Ohren hört sich das nicht nur resigniert an, sondern nach massenhaftem Verstoß gegen das Aktiengesellschaftsrecht. Denn: Wenn die technische Möglichkeit nun gegeben ist, mehr Daten als je zuvor über die Aktivitäten des eigenen Unternehmens zu erfassen und präzise auszuwerten, von dieser Möglichkeit aber kein Gebrauch gemacht wird – worüber sich die zuständigen Abteilungen noch dazu völlig im Klaren sind – dann ist das meines Erachtens grob fahrlässig. Oder, wie die Autoren der Studie es formulieren: „Ausreden sind also nicht mehr möglich. Die Uhr tickt.“

Nun doch genug der Schelte! Dass die Akteure, auf die es ankommt – also: die Controller selbst –, ein Problembewusstsein entwickelt haben, ist ein großer Fortschritt und stellt eine Basis dar, auf der man aufbauen kann. Unternehmen, die ihre Verantwortung wahrnehmen wollen, in der digitalisierten Wirtschaft sachkundig handeln zu können, stehen zwar vor einer Lernkurve. Aber sie stehen weder alleine noch mittellos da! Leute, die sich zu digitalem Controlling schon länger Gedanken gemacht haben, gibt es ja ein paar.

Über den Autor

Nils Seebach ist Autor und überzeugter Blogger bei Digitalkaufmann.de. Er hat sich auf die betriebswirtschaftliche Analyse und Einschätzung von digitalen Geschäftsmodellen spezialisiert.

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