Kollektive Intelligenz
Der britische Naturforscher Francis Galton (1822-1911) berichtete folgende Anekdote: Auf einem Viehmarkt wurde ein Wettbewerb veranstaltet, bei dem die Besucher eine Schätzung für das Gewicht eines ausgestellten Ochsens abgeben sollten. Galton analysierte die abgegebenen Schätzungen und stellte fest, dass der Durchschnittswert aller Schätzungen beinahe genau dem Gewicht des Ochsens entsprach. Die jeweiligen Einzelschätzungen der Besucher wichen jedoch mehr oder weniger deutlich vom tatsächlichen Gewicht ab.
Hierbei handelt es sich mitnichten um ein kurioses Einzelphänomen. Vielmehr bringt diese Anekdote einen grundlegenden Zusammenhang zum Ausdruck: Das kollektive Urteile einer Gruppe von Personen erweist sich oftmals als präziser als die einzelnen Urteile der Personen. Worauf beruht dieser Zusammenhang? Als Individuen verfügen wir meist nur über eingeschränktes Wissen im Hinblick auf bestimmte Zusammenhänge. Wir kennen womöglich nur einen Teil der Informationen und treffen darüber hinaus Fehleinschätzungen. Werden die unvollständigen und fehlerbehafteten Einzelurteile jedoch gebündelt, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass sich das kollektive Ergebnis der Wahrheit nähert.
Im Beispiel des Schätzwettbewerbes war das gebündelte Ergebnis der Mittelwert der Einzelschätzungen der Teilnehmer. Ein weiteres Beispiel für eine kollektive Entscheidung ist das Publikumsvotum zu einer Frage im Rahmen einer Quizshow. Die Publikumsgäste selbst verfügen nur über durchschnittliche Kenntnisse und mögen mit ihrer Antwort auf die Frage weit danebenliegen. Die mehrheitliche Meinung des Publikums weist jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die richtige Antwort. Kann man sich auf Phänomen wie diese jedoch verlassen? Sollte man Entscheidungen grundsätzlich Gruppen von Personen überlassen oder ist die Meinung von Experten nicht doch verlässlicher?
James Surowiecki macht in seinem Buch Die Weisheit der Vielen deutlich, dass ein gelingender kollektiver Entscheidungsprozess an einige Voraussetzungen geknüpft ist. Demnach müssen die Einschätzungen der einzelnen Personen eine gewisse Diversität aufweisen. Hierdurch wird sichergestellt, dass verschiedene Aspekte und Perspektiven hinsichtlich einer Thematik zum Tragen kommen. Weiterhin dürfen sich die Beteiligten eines Entscheidungsprozesses nicht allzu sehr in ihren persönlichen Auffassungen beeinflussen, da hierdurch die Vorteile einer Bündelung der individuellen Wissensfragmente verloren gehen würde. Zuletzt kommt es wesentlich darauf an, dass die einzelnen Gruppenmitglieder im Rahmen von dezentralen Strukturen spezifische Kenntnisse erwerben können, die schließlich zu einer kollektiven Entscheidung gebündelt werden.
Sind diese Bedingungen erfüllt, kann davon ausgegangen werden, dass das kollektive Entscheidungsergebnis, die individuellen Einschätzungen der Gruppenmitglieder übertrifft. Dies gilt auch, wenn es ausgewiesene Experten für eine Thematik gibt. Die Bündelung der Fachexpertise mit weiteren Einschätzungen – mögen diese für sich auch nicht an die Expertise heranreichen – wird unter den genannten Voraussetzungen dazu führen, dass sich die finale Einschätzung verbessert, da hierdurch weitere Informationsbestandteile hinzugefügt und Fehleinschätzungen reduziert werden. Gerade im Unternehmenskontext liegt es daher auf der Hand, in Entscheidungssituationen stets eine kollektive Einschätzung zu aggregieren und sich nicht ausschließlich auf die Expertise einer einzelnen Führungspersönlichkeit zu verlassen. Auf Dauer sind die kollektiven Entscheidungen nämlich die besseren.
Hallo Stefan, interessanter Artikel !
Rufen wir Sokrates zu > wir wissen,dass wir nichts wissen, aber kollektiv gebündelt ……..