Raus aus dem Hamsterrad – Leistung einmal anders gedacht
Leistung ist einer der Schlüsselbegriffe unserer Gesellschaft. Ob in Sport, Kultur oder Wirtschaft – wir bestaunen Spitzenleistungen und erwarten mit großer Spannung das nächste große Ding. Auch an uns selbst werden fortwährend Leistungsansprüche gerichtet. Dies beginnt schon in der Schulzeit und ist auch später fester Bestandteil des Berufslebens – sei es in Form von Zielvereinbarungen oder Leistungsvorgaben vonseiten des Arbeitgebers. Aufgrund des globalen Wettwebers mit den Mitbewerbern gilt es, die Leistung dabei nicht nur beizubehalten, sondern laufend zu verbessern. Entsprechend werden immer neue Performancesteigerungen oder Exzellenzinitiativen ausgerufen.
Der Leistungsgedanke als gesellschaftliches Prinzip erscheint dabei durchaus in einem positiven Licht. Zum einen scheint es auf diese Weise möglich, allen Mitgliedern der Gesellschaft einen Zugang zu attraktiven beruflichen Positionen zu eröffnen. Gilt das Leistungsprinzip, sind nicht mehr länger die persönliche Herkunft oder andere biographische Umstände für den beruflichen Erfolg entscheidend, sondern vielmehr die eigene Leistungsbereitschaft. Auch wenn sich solche Idealvorstellungen in der Realität immer nur näherungsweise verwirklichen lassen, erscheint uns dieses gesellschaftliche Ordnungsprinzip weitaus fairer als etwa die Ständeordnung zu Zeiten der feudalen Herrschaftsstrukturen. Zum anderen versprechen sich Gesellschaften, in denen sich der soziale Status nach dem Leistungsprinzip richtet, eine hohe wirtschaftliche Produktivität, da die Positionen mit leistungsfähigen Personen besetzt werden und sich diese durch die Aussicht auf Erfolg auch hinreichend motiviert zeigen.
Auch wenn das Prinzip der Leistung auf den ersten Blick klar und einsichtig erscheint – bei genauerer Betrachtung stellt sich die Sache schon komplizierter dar. So ist etwa fraglich, welche Bewertungskriterien für die Beurteilung einer Leistung herangezogen werden sollen. Sollte der entscheidende Leistungsmaßstab das Resultat einer Arbeit sein oder gilt es vielmehr den persönlichen Einsatz der Akteure in den Vordergrund zu stellen? Schwierigkeiten bereitet auch die Frage, wie unterschiedliche Leistungen miteinander verglichen werden sollen. In diesem Sinne sind die Leistungen von Pflegekräften und die Leistungen von Büroangestellten doch sehr unterschiedlicher Natur, sodass keine einheitliche Bewertungsgrundlage für den (gesellschaftlichen) Wert einer Leistung gegeben scheint. Der subjektive Charakter des Leistungsprinzips wird auch dadurch ersichtlich, dass zunächst erst einmal bestimmt werden muss, was überhaupt als Leistung gilt.
An diese Gedanken zur inhaltlichen Bestimmung des Leistungsprinzips schließt sich die weiterführende Frage an, ob die Vorstellung einer individuellen Leistungserbringung überhaupt der Realität entspricht. So zeigt sich im alltäglichen Leben, dass Arbeitsleistungen stets in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind. Zum einen werden Resultate oftmals in mehreren Arbeitsschritten hervorgebracht, an denen mehrere Akteure beteiligt sind. Eine Zuschreibung der erzielten Leistung kann in solchen Fällen nicht eindeutig erfolgen. Zum anderen sind es aber auch die vielen Leistungen im Hintergrund, wie etwa die Betreuung von Kindern, die wirtschaftliche oder kulturelle Spitzenleistungen erst ermöglichen.
Anhand dieser Betrachtungen wird nun deutlich, dass es sich bei der Leistungsgesellschaft um eine Konstruktion handelt, die wir mit unseren (Wert-)Urteilen und Deutungsansprüchen selbst erschaffen. Diese Erkenntnis muss dabei keineswegs negativ ausfallen, sondern verweist vielmehr auf ein großes Gestaltungspotenzial, da die Leistungsidee offen für neue Interpretationen ist. In diesem Sinne sollten auch wertvolle Leistungen, die bislang noch wenig als solche beachtet werden, in das gesellschaftliche Leistungsverständnis integriert werden. Hieraus können sich schließlich weitere Konsequenzen für die unternehmerische Praxis ergeben, die für alle Beteiligen einen Vorteil bedeuten – seien es neue Arbeitszeit- oder Lohnmodelle für kreative Leistungen. Weiterhin gilt es auch den sozialen Charakter der Leistung in Politik und Wirtschaft stärker zu berücksichtigen.
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