Spieglein, Spieglein an der Wand: Warum wir uns weniger vergleichen sollten
Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land? So lautet die bekannte Zeile aus dem Märchen von Schneewittchen. Auch wenn es sich hierbei nur um eine fiktive Erzählung handelt, ist diese Frage doch auch Sinnbild für die realen Vorgänge. Täglich vergleichen wir unsere Leistungen und Besitztümer mit denen anderer und erstellen implizite Rangordnungen, die unseren eigenen Status dokumentieren. Das Streben nach Selbstachtung und Prestige ist hierbei für viele ein entscheidendes Motiv.
In Anbetracht dieses Aufwandes lohnt sich einmal der Frage nachzugehen, was es mit dem Statusdenken grundlegend auf sich hat. Der offensichtliche Reiz des Statusdenkens scheint zunächst darin zu liegen, dass ein Aufstieg in der sozialen Rangordnung mit einem freudigen Gefühl einhergeht. Es verschafft uns in diesem Sinne eine gewisse Genugtuung, wenn wir als Sieger aus einem sportlichen Wettkampf hervorgehen, eine angesehene Position erlangen oder uns bei einem Übeltäter für eine Gemeinheit revanchieren. Zum einen resultiert die Freude über einen Prestigegewinn damit aus dem (kurzfristigen) Überlegenheitsgefühl, das sich im Zuge eines persönlichen Triumphes gegenüber anderen einstellt. Zum anderen spielt in diesem Zusammenhang auch die äußere Anerkennung für einen erreichten Prestigeerfolg eine Rolle.
Für Fälle dieser Art ist es nun entscheidend, dass der Anstieg des Selbstwertgefühls und die äußere Anerkennung auf die Verbesserung der eigenen Position zurückzuführen sind. In diesem Sinne stellt sich das Selbstwertgefühl gerade durch die Erreichung einer Position ein, die gegenüber der Position anderer als überlegen vorgestellt wird. Diese Konstellation kann somit als Nullsummenspiel aufgefasst werden, da der persönliche Aufstieg in der sozialen Rangordnung, zugleich den Prestigeverlust eines anderen bedingt.
Dies erscheint nun insofern problematisch, da eine vorwiegende Orientierung am eigenen relativen Status und dem hieraus resultierenden Ansehen zu einer verstärkten Anfälligkeit für Herabwürdigungen der eigenen Person führt – sei es in Form von selbstverschuldeten Niederlagen oder Bloßstellungen durch andere. Kommt es zu einem Abstieg in der Rangordnung, ist dies mit besonders schmerzhaften Erfahrungen verbunden, sofern die eigene Selbstachtung vornehmlich an der eigenen Position gegenüber anderen ausgerichtet ist. Ein ausgeprägtes Statusdenken wird daher oftmals von der steten Sorge um einen möglichen Statusverlust begleitet. Diese Gefahr besteht insbesondere auch in beruflichen Kontexten, in denen das Statusdenken durch fortlaufende Vergleiche der (quantitativen) Erfolge befördert wird. Darüber hinaus hat ein ausgeprägtes Statusdenken zur Folge, dass grundlegende Werte, wie etwa eine erfüllende berufliche Aufgabe oder intakte zwischenmenschliche Beziehungen, leicht aus dem Blick geraten.
Für berufliche wie für private Kontexte bedeutet dies jedoch eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität, wenn die Sorge um den eigenen Status im Vordergrund steht und wertvolle Quellen von Zufriedenheit und Anerkennung vernachlässigt werden. Vor diesem Hintergrund ist jeder Einzelne dazu aufgefordert, sich stärker auf die Auseinandersetzung mit sinnstiftenden Tätigkeiten zu fokussieren und weniger Aufmerksamkeit auf die Wahrung des eigenen Status und kompetitive Vergleiche mit anderen zu verwenden.
2 Kommentare zu “Spieglein, Spieglein an der Wand: Warum wir uns weniger vergleichen sollten”
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Sehr schön dargestellt.
Ein Umdenken, nicht nur in der Berufswelt, ist schon lange überfällig.
Es gibt ein sehr interessantes Buch zu diesem Thema : “ Ego“ von Frank Schirrmacher, dem ehemaligen Chefredakteur der FAZ, der leider viel zu früh verstarb.
Auf den Punkt formuliert! Statusdenken verengt die Vielfalt der Persönlichkeitsentwicklung, behindert eine von Humanismus geprägte Lebensqualität und ist m.E. ein negatives Vorbild für eine offene, tolerante Gesellschaft – im beruflichen wie privaten Bereich.